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Heisses Thema (Mehr als 5 Antworten) Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremde (Gelesen: 13221 mal)
Rico
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Gibt es ein Leben vor
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Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremde
30.01.2008 um 01:46:35
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Hi Leute!

Wollte mich kurz mal melden, um Euch zu berichten, wie meine Reise nach Brasilien bisher gelaufen ist.

Sonntag morgen bin ich um 4 Uhr aufgestanden, da mein Flug nach London um 7 Uhr ab HH gehen sollte und ich unbedingt noch einen Einfluss auf die Sitzvergabe haben wollte (mit meinen langen Graeten sitze ich gerne vor den Notausgaengen, da dort die meiste Beinfreiheit in der Schweineklasse herrscht).
Wer dachte, "British is Kritisch" der taeuscht (scheisse, dass diese Tastatur keine Umlaute kennt). Die Flugbegleiter der Britsh Airways waren ueberraschenderweise sehr zuvorkommend und haben mich ohne Murren ohne Unterbrechung mit diesen 125 ml Flaschen Rotwein versorgt, die ich mir reingepfiffen habe, um im Sitzen annaehernd einen doesenden Zustand erreichen zu koennen. Wenn sich naemlich der Vordermann mit seinem Sitz nach hinten legt, ist dass fuer mich der TouristenklassesuperGAU. Ich weiss auch gar nicht mehr, wie viele dieser Flaeschchen ich weggezogen habe, aber geholfen hats nichts. Die 4 Stunden Uebergang in Heathrow habe ich im Transitbereich verbracht und einen Mega-Schmachter geschoben, da sich die Englaender jetzt im Anti-Raucher-Kampf hervortun wollen und den letzten miesen stinkigen Rauchersalon innerhalb des Flughafens geschlossen haben. Um mich zu beruhigen, musste ich noch mehr Rotwein trinken, als ich dann im Flieger nach Sao Paulo sass. 11,5 Stunden Flug nach Sao Paulo. Auch dort wieder nette Stewardessen, die mich mitleidig bei meinem Selbst-Narkoseversuch unterstuetzt haben, was aber auch nicht richtig geklappt hat.

Mein Eindruck ist der, dass wenn mans wirklich auf ein Besaeufnis anlegt, dann bekommt man es nicht hin. Egal, geschlafen habe ich in den insgesamt 16 Stunden des Fluges nicht. Betrunken und Standunsicher hab ich mich erst beim Verlassen des Fliegers gefuehlt...
Angekommen bin ich abends um viertel vor 10, Schwiegerpapa hat mich abgeholt. Und das Wetter: "Weiterflug nach Sao Paulo: 18 Grad, Regen! Das Haar sitzt. 3 Wetter Taft!"

Die Rueckfahrt vom Flughafen Guarulhos in Sao Paulo nach Americana (ca. 120 km), wo meine Schwiegerfamilie lebt,  fuehrte uns an 2-3 netten kleinen Hochsicherheitsgefeangnissen direkt an der Autobahn gelegen vorbei, die gleich danach abgeloest wurden von den allseits verbreiteten Favelas, ganzen Staedten aus Wellblech und Pappe, wo die ganz armen Leute wohnen. Kalte und traurige Realitaet in dem "Ex-Dritte-Welt-Land", jetzt auch als "Schwellenland" bezeichnet.

Also, waehrend wir uns in Deutschland ueber die 10-12 Grad im Winter gewundert haben, so wundern sich hier die Brasilianer ueber die mickrigen 20 Grad im Hochsommer und einen Dauerregen wie dieses Jahr erinnern selbst die Grosseltern nicht. Zum Akklimatisieren ganz nett, aber der richtige Bringer war das bisher wettermaessig nicht.
Gut ich bin jetzt erst 2 Tage hier und es heisst, dass im Laufe der Woche der Regen aufhoert, aber fuer den Strand oder den Pool mit Caipinrinhas hats bisher noch nicht gereicht. Wenn der Regen aufhoert, sollen es wieder die 40 Grad werden, die ich erwartet habe.

Mein aktuell groesstes Problem ist momentan dieser PC hier, an dem ich sitze: Ein 1,5 GHz Athlon mit ganzen 256 MB Ram und ein vorsintflutliches 56 kb-Analogmodem, dessen Geschwindigkeit ich als einer der ersten DSL-User Deutschlands schon lange aus meiner Erinnerung gestrichen hatte. Der Grund fuer diese Mega-Slow-Connection ist nicht, dass es hier kein DSL gibt, sondern eher die niedrigen Ansprueche meiner Schwiegermutter, die das Internet nur nutzt, um ab und zu mal ein paar Kochrezepte nachzugoogeln. Da muss ich mich auch nicht wundern, wenn ich aus Deutschland keine vernuenftige Videokonferenz mit der Oma meiner Soehne herstellen konnte.
Mal ganz abgesehen von dieser miesen  Analogmaus, die nicht mal ein Scrollwheel hat.
Hier ist noch einiges verbesserungswuerdig und so hab ich also mein Ferienprojekt gefunden: Schwiegermutterns PC aufzupimpen!
Morgen gehe ich erstmal eine optical-digital Maus und etwas mehr RAM kaufen.

Ansonsten gehts mir gut. Das Essen ist lecker und gesund (auch wegen der vielen tropischen Fruechte bei allen Gaengen) und an das Autofahren hab ich mich auch schnell gewoehnt. Der Verkehr funktioniert hier sowieso nur noch, weil alle Teilnehmer gleichzeitig die Verkehrsregeln missachten. Rechts vor Links gibts hier eh nicht. Vorfahrt hat immer der Autofahrer, Fussgaenger werden ignoriert und leben daher extrem gefaehrlich hier. Auch kann es passieren, dass ein Pferdefuhrwerk die Autobahn benutzt oder Fussgaenger eben diese ueberqueren, was die Fahrerei hier nicht gerade sicherer macht.
Den oertlichen Bestatter hab ich noch nicht ausfindig gemacht, Bilder der hiesigen Bestattungskutschen gibts auch noch nicht, habe ich mir aber fest vorgenommen.

Ab Freitag geht hier der Karneval los. Ich hab was von Plaenen mitbekommen, die Tage auf der Ranch eines Freundes zu verbringen. Ist mit 2 Familien mit Kindern wohl besser, billiger und sicherer, als sich mit 2 kleinen Kindern in irgendeinem Strandhotel in Rio oder Salvador einzumieten, um da ne Menge Kohle fuer die Unterkunft auszugeben und die Kinder spaeter im Gewuehl auf der Strasse zu verlieren...

Ich werde von Zeit zu Zeit mal ein Update folgen lassen, wenn mein Geschreibsel irgendwen interessieren sollte.

P.S.: Ich hoffe nur, die 56k-Geschwindigkeit reicht aus, um den Webradio-Stream vom St.Pauli-Spiel gegen Koeln am Freitag ruckelfrei zu empfangen. Wenn nicht, werd ich wirklich aergerlich....
« Zuletzt geändert: 30.01.2008 um 13:39:40 von Rico »  
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_Verris_
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #1 - 30.01.2008 um 09:53:53
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Hallo Rico,

vielen Dank für deinen Bericht. Mach bitte weiter. Ich verspreche auch, blass vor Neid zu werden. Zwinkernd Ich wünsche dir endlich deine 40 Grad, damit sich die Sonnenbank vorher auch geholt hat.  Cool

Viel Erfolg beim pimpen des Schwiegermutter-PC.


Liebe Grüße an die Familie

Claudia, Amelie & Christian
  
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Ingo.Marx
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #2 - 30.01.2008 um 13:19:34
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Rico, vielen Dank für Deine Berichterstattung vor Ort - herrlich, das zu lesen.  Laut lachend Und ziemlich interessant finde ich es auch, da ich über Brasilien ehrlich gesagt nicht besonders viel weiss.

Daher warte auch ich auf weitere News aus Brasilien und wünsche Euch eine angenehme Zeit dort!
  
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Rico
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Gibt es ein Leben vor
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Antwort #3 - 31.01.2008 um 02:44:51
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Na endlich:

Heute war es soweit!
Wie ein Goa-Hippie eine totale Sonnefinsternis mit einem Freudentanz begruesst so habe ich heute die mal wieder die Sonne gesehen und bin total aufgeblueht....

Die Sonne kam durch, so gegen 15:30h brach die Wolkendecke auf und mit einem Mal war Hochsommer. Zwar nicht sofort 30 Grad, aber der Boden war in 10 min getrocknet. Gleich erwachte das Leben hier: Die Kolibris mit ihren 10 Millionen Fluegelschlaegen pro Sekunde fingen an, sich bei den vielen bunten Blueten im Garten des Hinterhofes Nektar zu holen, grosse Schmetterlinge flogen herum und ich dachte einen Moment, ich ware in Mittelerde angekommen und ein Hobbit kaeme auf eine Pfeife Kraut vorbei.
Ploetzlich schmeckte sogar das Bier wieder. Vorher wurde man ja fast depressiv dabei, im Regen zu sitzen und eine Dose Bier zu knacken.
Nicht so heute. Ueber die Hausanlage schallt der eingestoepselte Ipod den richtigen (vorher zusammengebastelten) Soundtrack aus Trip-Hop, Drum and Bass, Covenant und Foo Fighters in den Garten, wo ich dann die Liegestuehle aufgestellt habe. Das Wasser im Pool war zwar noch etwas kalt, aber den Jungs zuliebe war Papa zur allgemeinen Belustigung mit ein paar Arschbomben dabei.
Interessant ist, dass der Sonnenstand um halb fuenf abends so wirkt, als wenn es bei uns 13 Uhr im Sommer waere. Der Winkel des Sonnenverlaufes zum Horizont ist hier fast rechtwinklig. Die Sonne steht nachmittags noch lange mitten am Himmel, um dann schneller unterzugehen. Die Sonne geht hier ja auch nicht so langsam unter, sondern in ein paar Minuten ist die Daemmerung vorbei und es wird schlagartig Nacht.
Das ungeschriebene Gesetz lautet hier eh, zwischen 11 und 14:30 aus der Sonne rauszugehen. Die kommt dann so gnadenlos von oben runter, dass einem selbst die Fussruecken verbrennen. Insofern passte es gut, dass die Sonne erst nachmittgas rauskam.
Morgen rechne ich mit besserem Wetter gleich morgens. Dann wird der Tag wahrscheinlich sehr heiss.

Heute abend hab ich mich wieder mal koestlich ueber die "Kuenstlernamen" der brasilianischen Fussballer amuesiert. Da hat tatsaechlich ein Typ ein Tor geschossen, der "Alain Delon" genannt wird. Sehr komisch, aber das nur am Rande.
Das Essen hier hat auch fuer mich alten Hasen immer noch was Neues parat. Vormittags haben wir noch ein paar Maracuja und Ananas auf dem Markt gekauft, die dann zuhause in so eine puddigartige Geleenachspeise verwandelt wurden. Suess und frisch zugleich, absolut lecker.

Selbst mein Schwiegervater, der sich abends gerne die achte Staffel von Big Brother Brasilien anguckt (jaa, auch davon bin ich hier nicht unbelaestigt), ist ein begnadeter Koch.
Naechste Woche, wenn der Karneval vorbei ist, will er mir seine beruehmte Piranha-Suppe kochen, die ich zuletzt mal vor 7 Jahren von ihm gekocht bekommen habe.
Ich werde versuchen, den Kochprozess und die Piranhas vorher fotografisch festzuhalten. Mehr als beschreiben, wie ein Piranha schmeckt, kann ich letztlich nicht (frei nach dem Motto: Seit 5:45h wird zurueckgebissen).

Auch lecker, aber dabei schon ein alter Klassiker, ist Zuckerrohrsaft direkt ausgespresst. Da gibts hier an jeder Strasse ein Staendchen, wo irgendein alter Opa Zuckerrohr durch eine elektrische Presse jagt und unten laeuft suesser Saft raus, der mit Eis und nem Strohhalm gereicht wird. Schmeckt sanft-suesslich wie so ein KiBa oder ein Milkshake. Die Leute kaufen das hier mit einer Selbstverstaendlichkeit, die uns in Deutschland total abgeht. Am Strassenrand etwas zu kaufen, finden wir in Deutschland doch igitt. Das waere in etwa vergleichbar, als wenn wir an jeder Strassenecke Ruebensaft kaufen koennten. Hier ist das das Normalste der Welt, die Produkte des Landes am Strassenrand angeboten zu bekommen, und die Qualitaet ist 1A, alles Bio, weil die kleinen Bauern oft gar kein Geld fuer Pestizide haben.

Zuckerrohrsaft ist hier nicht nur Grundlage fuer den Rohrzucker, den die Brasilianer in die ganze Welt exportieren, sondern wird einerseits zu Cachaça (dem Schnaps, den wir in der Caiprinha wiederfinden) oder aber auch zu Bioethanol weiterverarbeitet. Mit dem Bioethanol fahren hier schon geschaetzt weit ueber die Haelte der PKW. Der Liter kostet sowas um die 20 cent und hat eine Energieausbeute, die dem echten Benzin sehr nahekommt. Mit ihrer nachwachsenden (und daher in der Co2-Bilanz neutral eingestufte) Bioenergie als Alternative zu fossilen Brennstoffen haben die Brasilianer uns schon 25 Jahre Erfahrung voraus, waehrend wir in Europa noch an Hybridantrieben forschen.
Apropos Cachaça und Caipirinha. Der neueste Trend an der hiesigen Saeuferfront heisst "Sakinha" oder so, ist aber jedenfalls eine Caipirinha mit japanischem Sake statt mit Zuckerrohrschnaps. Bin mal gespannt, wann das nach Europa rueberschwappt.

Uebrigens betraegt der Zeitunterschied Deutschland - Brasilien 3 Stunden zurueck. Da hier die Sommerzeit und in Deutschland Winterzeit herrscht, haben wir uns auf die 3 Stunden angenaehert. Wenns bei Euch 20 Uhr abends ist, ists hier um 17:00 noch richtig sonnig.

Ich melde mich weiterhin, wenn es was interessantes gegeben hat.

Machts gut, und friert nicht zuviel. Zwinkernd
« Zuletzt geändert: 31.01.2008 um 15:18:31 von Rico »  
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HearseLady
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #4 - 31.01.2008 um 05:46:45
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Piranha... das würde mich ja auch mal interessieren, wie das wohl schmeckt...

Auf jeden Fall lieben Dank für die anschauliche Berichterstattung, etwas über fremde (also für mich zumindest fremde) Länder und das Leben dort les ich immer wieder gerne. Und so nebenbei: kannst Du nicht ein klitzekleines bisschen Sonne in nen Umschlag stecken und nach Deutschland rüberschicken? Oder per Fax? E-Mail?  Augenrollen

Also, ich freue mich auf weitere Berichte aus der Sonne!
Viel Spaß noch und eine schöne Urlaubszeit!
  
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #5 - 01.02.2008 um 11:37:27
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Da kann man nur neidisch mitlesen und von alten Zeiten träumen.......
wobei, ich war vor 10 Jahren zum arbeiten in Brasilien, war nicht schlecht, aber leider nun mal kein Urlaub.....

Rico, genieß die Zeit und komm bloß erholt wieder Smiley
  
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Rico
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Gibt es ein Leben vor
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Antwort #6 - 02.02.2008 um 01:52:21
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Und los gehts:

Ganz ohne Sonnenbrand gings dann doch nicht. Ich war zwar vor der Abreise in Deutschland    zum Vortoasten im Sonnenstudio gewesen (was ich uebrigens echt prollig fand), aber trotz aller Vorsichtsmassnahmen hab ich die Schultern und die Nase rot. Dabei hab ich mich an alle Sicherheitsvorkehrungen gehalten, viele Gruesse von der LSF30-Front...

Wir haben schon die Koffer gepackt. Morgen verreisen wir alle zusammen mit etwa 20 anderen Freunden und Anhang auf die Ranch eines Freundes. Dort gibts Pferde, einen Fluss zum Baden, einen Pool und eine Grillmoeglichkeit von einer Dimension, die ein ganzes Regiment satt kriegen koennte. Meine Frau war mit der Gastgeberin einkaufen. Die haben fuer 300 Euro (und das ist hier viel Kohle) Fressalien und Getraenke besorgt, die fuer 4 Tage reichen muessen. Da Fleisch hier unten nur die Haelfte des deutschen Preises kostet, gehen auch kiloweise Rind, Schwein und Huhn mit auf die Reise.
Wir haben uns im Interesse der Kinder fuer einen "ruhigen" Carnaval mit entspannten Freunden entschieden und gegen einen wilden Strassenkarneval, wo man alle 2 Minuten seine Kinder im Gewuehl wiederfinden muss. Um richtig nach Salvador und seinem beruehmten Strassenkarneval (3000 km im Norden) zu fliegen, haettens mit Hotel auch gleich nochmal 100 Euro gekostet. Rio kann man waehrend des Karnevals eh vergessen, denn die Preise steigen in den paar Wochen und auch die Kriminalitaet steigt nochmal extrem an, da auch die Kriminellen wissen, dass viel auslaendisches Geld in der Stadt ist.
Der Karneval hier wird seit jeher von Familien benutzt, um einen 5 Tage Kurzurlaub dazwischen zu schieben. Niemand arbeitet gerne bei 35 Grad im Buero.

Die Umzuege der Sambaschulen sieht man hier auch so auf allen Kanaelen. Selbst von den Generalproben wird berichtet und die grossen Events aus Sao Paulo und Rio werden live uebertragen.
Ulkig fand ich, dass was ich heute gesehen habe. Die Sambaschule des traditionellen 1.Liga Fussballclubs Corinthians (nur "voruebergehend" in die 2.Liga abgestiegen) aus Sao Paulo! Dass muesst ihr Euch so vorstellen: Die Ultras vom FC St. Pauli - oder von mir aus Bayern Muenchen - schicken 4000 in Vereinsfarben gekleidete Taenzer und Musiker auf eine 1000 Meter lange Strecke, um in einer Stunde die Jury davon zu ueberzeugen, dass ihre Praesentation die beeindruckendste und beste war. Und der Samba, den sie dazu singen, handelt natuerlich nur vom Fansein und den tollen Errungenschaften des Fussballvereins. Schon sehr abgefahren, wieviel Tradition selbst so eine "Lachnummer" hat, besonders wenn man den Verein nicht sonderlich mag.
Ist aber meines Wissens der einzige Fussballverein mit einer eigenen Sambaschule, insofern kann man das auch wieder respektieren.

Man sollte das wahrscheinlich mit Humor nehmen. Es werden auch relevante Dinge in den Samba-Texten angesprochen. Schliesslich haben sich die Sambaschulen hier auch jedes  Jahr ein neues Thema fuer ihren Umzug ausgesucht, und die Themen behandeln genau wie in Deutschland Tagesaktuelles wie Politik, Korruption oder Umweltverschmutzung etc.

Ich erwarte fuer die naechsten Tage sehr viel Hitze, sehr viel zu Essen und zu Trinken und noch mindestens 3 Grad auf meiner persoenlichen Verbrennungsskala dazu.
Ich melde mich, wenn ich wieder da bin. Lange werde ich nach meiner Rueckkehr nicht in meinem Basecamp bleiben, denn ab Donnerstag naechster Woche fahren wir an den Strand, endlich!!

  
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Rico
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #7 - 06.02.2008 um 01:30:58
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Er nuÂ’ wieder....

Heute sind wir wieder nach Americana zurueckgekehrt. Muede, zerstochen bis zur Unkenntlichkeit, aber rundum erholt und zufrieden. Oeko-Wellness kann man das nennen.
Ein wenig Blut mussten wir den Tieren dort ueberlassen, in deren natuerliches Habitat wir eingedrungen sind.

Der Landsitz, auf dem wir den Karneval erlebt haben war ca. 75.000 m² gross, hatte mal eine Huehner-  und Pferdezucht besessen, wird aber jetzt als Familienranch genutzt. Auf dem Grundstueck gibt es ein Stueck geschuetzten Regenwaldes, der nicht abgeholzt oder veraendert warden darf. Dort tummeln sich tagsueber kleine Miniaeffchen, Spinnen wie aus “Arachnophobia”, Ara-Papagaien und Tukane solls dort auch geben. Nachts kommen alle Arten von Tausendfuesslern, mindestens 20 verschiedene Stechmueckenarten, dicke brummende Kaefer und Fledermaeuse raus und geben einem bei der Nachtwanderung mit den Kindern vorm Schlafengehen das Gefuehl, man kaempfe sich wie im Vietnamkriegsfilm durch den Dschungel auf der Suche nach dem Ho-Chi-Minh-Pfad.
Um die Vegetation in diesem Stueck Regenwald zu beschreiben fehlt mir die TolkienÂ’sche Wortgewandtheit, aber was da an Palmen, Eukalyptus, Lianen, Farnen und grossblaettrigen Tropenpflanzen waechst, hat selbt mich alten Brasilienfan ueberrascht.
Das verrueckte war, dass wir die meisten Pflanzen schon in dem einen oder anderen Baumarkt als Topfplanze bei uns gesehen haben, nur eben nicht gleich 40m hoch mit einem Stamm von 2 Metern Umfang.
Das ganze Gelaende grenzte an einen Fluss, dessen Ufer aus einem dichten und ebenfalls mindestens 25m hohen Bambuswald bestand. Der Fluss selbst war ein eher wildes Gewaesser, eher so Gebirgsflussig-Schnellstromig irgendwie. Jedenfalls hat in dem Fluss noch niemand ungeschoren gedadet. Wenn einen nicht schon die Stroemung fertig macht, gibts noch die Blutegel. Die Blutegel im Fluss sollen legendaer gross sein.
Die Ranch selbst liefert einem fast alles, was man so an Obst haben moechte. Apfelsinenstraeucher, Mangobaeume, Granataepfel, Goiaba, Bananenstauden, einfach alles gabs da. Da der vorherige Gelaendeangestellte ein fauler Sack war, ist der Gemuesegarten eingegangen, aber wenn der nun auch noch gut bestellt gewesen waere, dann haetten wir uns die meiste Einkauferei gespart.
Damit der Aufenthalt nicht zu rustikal erscheint, hatten wir ja noch den 16x5 Meter Pool, die 2 Fussballplaetze (1 Gras und 1 Sand), eine Freiluftkueche mit Grill mit allem Krimskrams, das Billiardzimmer und die Sauna (die wir aber nicht angeworfen haben).

Wir hatten also eine Menge Moeglichkeiten, unser auf Eis gelegtes Bier irgendwo am Rande abzustellen und der Entspannung zu froenen. Dabei bin ich auch gleich in das Vergnuegen der vorher erwaehnten „Sakezinha“ zu kommen. Eine Caipriniha mit Sake. Alternativ anstelle der Limonen mit Sternfrucht und Ananas. Yum-Yum! Die erste war so schnell weg, dass ich garnicht mehr genau erinnere, wieviele ich danach noch davon hatte.
Dass wir 4 Tage ununterbrochen gegessen haben, brauche ich hier nicht weiter auszufuehren.

Tja, und abends war dann Karneval, wobei ich mich an dieser Stelle gleich mal korrigieren muss, was die Karnevalsumzuege hier betrifft:
In Sao Paulo betraegt die Dauer und die Distanz, die eine gesamte Sambaschule mit ihren bis zu 4000 Darstellern zu meistern hat, 400 Meter in 65 Minuten. In Rio ist das „Sambodromo“ 500 Meter lang und die Zeit betraegt 80 min pro Sambaschule und Durchlauf.

Am Freitag und Samstag waren von 21 Uhr bis um 5 Uhr morgens die Schulen aus Sao Paulo live dran, am Sonntag und Montag war die |Uebertragung aus Rio im Fernsehen. Die Schulen bekommen Punkte von der Jury fuer X Kategorien (Musik, Synchronizitaet, Kostueme etc). Wer am Ende gewinnt, ist der King.

Irrsinnig komisch und auch gleichzeitig erschreckend ist, wie selbstverstaendlich hier mit der plastischen Chirurgie umgegangen wird. Typisches Beispiel war das Interview mit einer der Samba-Maeuse, die immer halbnackt vorneweg tanzen und die hier jeder kennt. Bekanntheitsgrad und Boulevardfaktor vom Typus Verona Feldpooth in etwa (nur dass man[n] sich Verona nicht sambatanzend und barbusig vor Millionen Fernesehzuschauern vorstellen kann). Die Taenzerinnen sind meistens Schauspielerinnen oder beruehmte Freundinnen von irgendwem noch wichtigerem. Einige sind amtierende Miss Universe oder sonstwas, ein paar alte Bekannte gibts auch: Adriane Galisteu, besser bekannt als die letzte Freundin von Ayrton Senna, die nach seinem Tod Fernsehkarriere gemacht hat und sich mittlerweile so dumm und dusselig hat umoperieren lassen, dass sich der arme Ayrton im Grabe umdrehen wuerde....

Das Fernsehinterview mit dieser Tanzmaus lief in etwa so:
- Reporterin: Toll siehst Du aus, dein Kostuem und so. Auch die Augen kommen jetzt besser zur Geltung. Die wievielte OP war das?
- Taenzerin (nicht ohne Stolz): Die 41.ste! Ich hab die Metallklammer noch hier an der Schlaefe, die kommt erst naechste Woche raus (und lupft seitlich die Peruecke und zeigt eine fiese Narbe mit ein paar Tackern drin).
- Reporterin (ist anerkennend hingerissen + schweigt)

Und das zur besten Sendezeit, 10 minuten vor dem Start der ersten Sambaschule. Da fehlen einem doch die Worte.

Fuer die unter Euch, die noch ein paar Videos vom diesjaehrigen Karneval sehen wollt, dann sei Euch hier der Link der TV GLOBO, des Fernsehsenders ueberlassen, der die Uebertragungsrechte hatte.

Abgefahren waren auch die Themen dieses Mal. Auf einem Wagen war sogar eine echte Skipiste erreichtet, wo ein Typ immer mit nem Snowboard runterrodelte. Spaeter haben sie gezeigt, was das fuer ne Schweinearbeit war, den „Schnee“ bzw. das ganze Eis auf dem Wagen zu verteilen. Dann hab ich noch ganze Wasserfall-Ensembles auf einem Wagen gesehen, wo die Taenzerinnen als Badenixen drinnen rumgeplanscht sind. Sieht man auch in den Videos...

Wem das noch nicht reichen sollte, der kann sich hier in dieser  Galerie der Sambamaeuse noch mal die Maedels in Ruhe ansehen (aber Vorsicht, nicht alles was man da sieht, ist echt!). Zum Starten der Diashow einfach auf das START-Symbol unten klicken. Bild 17 und 18 zeigen die oben erwaehnten Wasserfaelle.

Wenn ihr die "Musen" des Karnevals mal in Aktion sehen wollt, dann klickt hier.

So, genug gelabert.
Hoffentlich funktionieren die Links.
Ich werde jetzt noch ein Gute-Nacht-Bier verhaften und pennen gehen. Meine Planung, schon morgen an den Strand zu fahren, hat sich verschoben. Dafuer gibts am Freitag die Piranhasuppe, am Samstag fahre ich nach Sao Paulo zum Fussball und ab Montag gehts dann an den Ozean, wo Verwandte von meiner Frau uns ihr Appartment am Strand ueberlassen.

Ich wuensch Euch was, Alaaf und Helau und so....
  
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Rico
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #8 - 17.03.2008 um 20:59:24
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Moin...

Wollte mich nur mal kurz zurückmelden.

Nein, die Piranhasuppe hat mich nicht aufgefressen, sondern eher der Krankenhausalltag 1 Tag nach meiner Rückkehr.
Bilder von meiner Reise und auch von brasilianischen LW-Aufbauten hab ich auch mitgebracht, aber mein Versuch, ein Online-Fotoalbum zu kreieren, hat irgendwie nicht funktioniert. Andererseits wollte ich das Forum nicht mit netten Strandansichten, Caiprinhas in der Sonne etc. spammen.
Vielleicht wirds irgendwann noch mal was und dann würde ich das auch hier bekannt geben.

Zu den Leichenwagen sei noch gesagt, dass man besser seine Erwartungen an die brasilianische Bestattungskultur nicht zu hoch schrauben sollte. Meistens handelt es sich um Pick-Up-Trucks, die eine schnöde Plastikhülle als Aufbau draufgesetzt bekommen haben. Da sind die ansonsten ja für Dekor und Kitsch empfänglichen Südamerikaner eher pragmatisch, eben: Affe tot, Klappe zu!
  
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Re: Meine Sommerferien - Ein Aufsatz aus der Fremd
Antwort #9 - 27.03.2008 um 20:21:23
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Nur mal so der Vollständigkeit halber. Die Bilder zu den oben erwähnten Berichten sind zum größten Teil im "Schwarzfahrer-Bilderbuch" unter "Rico's Welt" abgelegt....

Die brasilianischen Leichenwagen werde ich da auch noch posten....
  
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